Fast am Ende der langen Straße
Perú, die sich vom Zentrum von Buenos Aires bis in den südlichen Stadtteil
Barracas erstreckt, befindet sich ein altes portensisches Stadthaus mit steinernem Balkon
und Stuckverzierungen, wie es immer
noch viele in der argentinischen Hauptstadt gibt. Zwei schwarze Türen in der hell getünchten Fassade bilden die Eingänge zu zwei verschiedenen Wohnungen - eine im unteren Teil des Hauses,
eine im oberen. Das Haus gehört zwei jungen britisch-argentinischen Schwestern,
Chelsey und Felicitas Henderson. Während meines Aufenthalts in Buenos Aires
wohnte ich bei Chelsey, der älteren, in der oberen Wohnung.
Elegant in schwarz-weiß: der kleine Kater Serafin |
Das Haus hat nicht nur
aufgrund seines Alters Charme. Seine Anlage und vor allem auch seine
Einrichtung bringen jeden, der es betritt, in Verzückung. Die Wohnräume sind im
Quadrat um einen Innenhof angelegt, der im Sommer schön kühl bleibt und in
dessen von hohen grünen Gewächsen umgebenem Brunnen ein munterer Wasserstrahl
plätschert. Auf den schachbrettartigen Fliesen macht der kleine weiße Kater
Serafin Jagd auf Grashalme und Spinnen und blickt zwischendurch mit seinen
kugelrunden, grünen Augen in das quadratische Stück Himmel über seinem Kopf
oder zu den Fenstern der oberen Wohnung. Von dieser hat man zwar keinen Zutritt
zum Patio, dafür gibt es hier eine Dachterrasse, die Chelsey in eine grünende
und blühende Oase verwandelt hat und die den Blick über das umliegende Meer aus
Dächern und Häuserblocks freigibt.
Die Wohnräume selbst zeugen
vom sicheren Geschmack der Henderson-Schwestern: große Gemälde an den hohen
Wänden, lange Holztische, an denen man arbeiten oder gemütlich mit Freunden
zusammensitzen kann, bemalte Kommoden, alte, stoffbezogene Stühle, bunte
Teppiche über den Holzdielen, Grünpflanzen in den Ecken und zart duftende Blumensträuße
auf den Tischen.
Morgensonne im Wohnzimmer |
Ihren guten Geschmack und ihre Freude am Arrangieren haben
sich die beiden Schwestern zum Beruf gemacht: Seit ein paar Jahren designen sie
Handtaschen, die sie in einem eigens eingerichteten Ausstellungsraum, dem
"showroom", in Chelseys Wohnung präsentieren. Durch das hohe Fenster
scheint morgens die Sonne und taucht das Zimmer in ein warmes Licht. Ein
abgewetztes Zebrafell ist über den Holzboden gebreitet, das die britischen
Großeltern einst aus Afrika mitgebracht hatten und an dem die Kater der
Schwestern auch gern mal die Krallen wetzen. In einer Vitrine mit Glastüren und
auf zwei langgestreckten Regalen reihen sich die Taschen in allen Größen und
Farben.
Während ich in ihrem Haus
wohnte, erlebte ich hautnah den Arbeitsalltag der zwei Designerinnen mit - ich
beobachtete, wie Chelsey mit Acrylfarben Modellzeichnungen anfertigte, wie sie
und ihre Schwester über die fertigen Modelle diskutierten, mit Lieferanten
telefonierten oder Kunden im "showroom" empfingen. Es gab entspannte
Tage, an denen die Schwestern mittags in Ruhe kochen und gemeinsam essen und
sich um den Haushalt kümmern konnten. An anderen Tagen brach die Hektik aus: Chelseys
Handy klingelte pausenlos, Pakete mussten abgewogen und verschickt oder mit
Interessenten verhandelt werden.
Modellskizze mit Lederproben |
Einmal wurden im Showroom und im angrenzenden
Wohnzimmer Möbel gerückt und Pflanzen arrangiert, das Bad wurde zum
Schminkzimmer umfunktioniert, fremde Menschen liefen hin und her und laute
Stimmen hallten durch das ganze Haus: ein Fotoshooting. Passend zum Markenname Jungle Vi.Ai.Pi präsentierte ein Model
die Taschenkollektion im Dschungelstil. Mitsamt den Taschen räkelt sich und
sitzt die junge Frau zwischen dschungelhaft anmutenden großblättrigen Pflanzen;
eines der Fotos hängt inzwischen über einer Kommode im "showroom".
Doch lässt sich mit den
Clutches, Shoppern und Schultertaschen tatsächlich Geld verdienen, wo finden
die Schwestern ihre Kunden, wie funktioniert überhaupt ihr Geschäft?
Als ich mich mit Chelsey gegen
Ende meines Aufenthalts in Buenos Aires darüber unterhielt, sie interviewte,
erzählte sie mir zuerst einmal, wie alles angefangen hat:
"Im Jahr 2009 haben wir
begonnen, Taschen zu designen. Während eines Urlaubs in Salta [im Norden
Argentiniens, Anm.] entdeckten wir eine kleine Gerberei, die Ziegenleder
verarbeitete, ganz rustikal. Wir waren sofort davon angetan und so fingen wir
an, eigene Taschen aus Leder herzustellen. Das war zuerst mehr ein Hobby, wir
entwarfen Taschen für Freundinnen."
Doch aus dem anfänglichen
Hobby wurde bald Ernst. Durch die Wirtschaftskrise in den USA verloren Chelsey
und Felicitas, die beide für US-amerikanische Unternehmen gearbeitet hatten,
ihre Jobs. In der Not machten sie ihr neues Hobby zum Beruf - und verdienen
damit mittlerweile erfolgreich ihr Geld. Felicitas, die früher als
Modedesignerin gearbeitet hat, ist der kreative Kopf des Zwei-Frau-Unternehmens.
Sie habe viele tolle Ideen, erzählt Chelsey, sie stehe für den coolen, eigenwilligen
Stil der Marke Jungle Vi.Ai.Pi. Dabei
ergänzen sich die Schwestern sehr gut: Während Felicitas für neue Entwürfe
verantwortlich ist und der Marke ihr Gesicht gebe, kümmert sich Chelsey
verstärkt um die Büroarbeit, zieht die Fäden im Hintergrund.
"Ich arbeite gern mit
meiner Schwester zusammen", sagt die junge Frau mit den haselnussfarbenen
Augen. "Für mich ist das ideal, wir ergänzen uns gut und können auch mal
Kritik üben und offen über Ideen diskutieren, ohne dass es zu einem Bruch
kommt. Mit einem Geschäftspartner, der nicht zur Familie gehört, wäre das sehr
viel schwieriger."
Was ist die Besonderheit eurer Taschen?, fragte ich Chelsey. Ob es vielleicht ein Lieblingsmodell gäbe, dass sie mir zeigen könnte?
Was ist die Besonderheit eurer Taschen?, fragte ich Chelsey. Ob es vielleicht ein Lieblingsmodell gäbe, dass sie mir zeigen könnte?
"Das gibt es", sagt
Chelsey und führt mich in den Ausstellungsraum,
über dessen gesamte Längswand zwei weiße Regalbretter verlaufen, auf
denen die Handtaschen ausgestellt werden. Chelsey zeigt mir eine lederne Clutch,
die der Länge nach schwarz und beige gestreift ist und von einer großen,
rosafarbenem Schleife aus weichem Leder geziert ist. "Dieses Modell, Isabella, ist sozusagen unser
Markenzeichen. Isabella taucht immer
wieder in unseren Kollektionen auf, mit verschiedenen Farben und Materialien,
aber das Grundprinzip bleibt."
Die Isabella-Clutch
Da in Argentinien in erster
Linie größere Taschen, aber kaum clutch
bags hergestellt werden, haben die Henderson-Schwestern eine Nische
gefunden und stehen vor allem für schicke und raffinierte Clutches. An diesen
wie an all ihren Taschen wird ihre Grundidee, der Leitgedanke ihrer Marke,
deutlich:
"Weil wir Argentinierinnen
mit englischen Wurzeln sind (unser Vater ist Argentinier, unsere Mutter
Engländerin), wollen wir auch in unseren Taschen diese anglo-argentinische
Kombination zum Ausdruck bringen", erzählt die junge Designerin. "Wir
kombinieren eher rustikales Leder, für das Argentinien berühmt ist, mit
europäischer Raffinesse, mit Verzierungen, Bordüren, feinen Stoffen."
Durch solche Details werden die Taschen zu echten Hinguckern.
Die oft farbenfroh gestalteten
und extravaganten Modelle werden in einigen Boutiquen in Buenos Aires, vor
allem aber im Inneren Argentiniens verkauft oder nach Übersee - Tokio,
Amsterdam, Paris - geliefert. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda sind die Schwestern
mit ihren Taschen bekannt und erfolgreich geworden. Ein kleiner Artikel im
englischsprachigen Time Out-Magazin
bringt ihnen seit Kurzem verstärkt wohlhabende amerikanische Kunden und
"personal shoppers".
Die selbstentworfenen, mit
viel Hingabe gestalteten Taschen der Schwestern Henderson stehen für junges
argentinisches Design - kreativ, gewitzt und zugleich traditionsbewusst auf argentinisches
Leder zurückgreifend. Noch ist Jungle
Vi.Ai.Pi. ein echter Shopping-Geheimtipp, eine Perle für Taschen- und Design-Liebhaber,
verborgen in einem alten portensischen Stadthaus.
Serafin und Abdul, die Kater der Schwestern |
Facebook: Jungle Viaipi